Rezension
von Dr. Dr. Christine Michelfeit, Präsidentin
der Gesellschaft
der Lyrikfreunde Innsbruck
Kurzgeschichten
um Herrn I.
--? ahnungslos
schlägt der Leser das neue Buch von
Angelika Pauly auf und ist schon mitten
drin im Bereich der phantastischen Literatur,
packend, einfallsreich und intelligent
geschrieben. Doch, wer ist dieser Herr I. überhaupt?
Die Autorin lässt
ihn erst ein paar Mal auf skurrile Weise sterben, bis sie ihn
endlich auf
Seite 20 vorstellt:
Wer
ist Herr I.?
Kein
Mensch weiß das
Wie
sieht er aus?
Klein,
untersetzt, schütteres,
dunkelblondes Haar.
Wasserblaue
Augen
………
………
Ist
er ein wichtiger Mensch?
Er
ist die Hauptperson
in Herrn I.’s Geschichten,
allerdings für seine Welt verzichtbar, was
ihn auch sehr bekümmert
Was
ist das Besondere an Herrn I.?
Er
hat viele Leben, stirbt aber fast in
jeder Geschichte
Herr
I.
könnte eine
Art Jedermann sein. Ein kleiner Büroangestellter, der täglich mit
einer Thermoskanne voll Tee und eingepackten Butterbroten in sein
Büro
zu netten
Kollegen und einem weniger netten Chef geht,
abends zu seiner Frau heimkehrt, nicht
ohne vorher in seiner Lieblingsbäckerei
sein Lieblingsgebäck zu
„ordern“. Und
doch
lebt er daneben in einer
Zwischenwelt, die ihn
einem Albtraum gleich in
die seltsamsten
Zustände versetzt, sich
seines Körpers und seines Geistes bemächtigt, um ihn letztendlich
aufzulösen und verschwinden zu
lassen -
Die
Spielarten seiner Abenteuer sind
verschieden, aber was immer auch passiert, ob er
seine Glieder verliert, zu Eis
erstarrt, verstummt, verbrennt oder sich in Wasser verwandelt,
er taucht wieder auf
um erneut am
Operationstisch einer
Klinik oder in einem
eckigen
Sarg sein Dasein zu
beenden. Man diagnostiziert nie
gehörte Krankheiten wie Augentorsion
(Der
Kranke blickt statt nach außen in seinen Körper
hinein, sieht Gedärme und
Knochen)
oder eine Farbenapokalypse
(Er zieht aus
allem, was er berührt, das
Schwarze heraus
und wird
selbst immer schwärzer). Herr
I. setzt aber auch Redewendungen in die
Realität
um, verliert „den Boden unter
den Füßen“ (versinkt tatsächlich
in der Erde), “geht aus sich
heraus“ und steht neben seiner eigenen Person:
…das
passiert alles
nicht wirklich mir.
Ich bin nicht dort
bin hier….
Nur
einmal lässt sich die Autorin nicht von
ihrer Phantasie inspirieren, sondern konfrontiert
Herrn I. urplötzlich mit
einem der dunkelsten
Kapitel der neueren Geschichte…(Hiroshima
mon amour)…Herr
I. erhält den Befehl zu töten, dazu wurde er ja
ausgebildet, jetzt ist es
wirklich so weit….“Am Ort angekommen lag
seine Uniform schon bereit, die ihm die
Verantwortung abnahm, das Gewissen und
die Menschlichkeit“.
Seither kann er nicht mehr schlafen…jetzt
steht er nicht mehr neben sich, sondern wird
zum Menschen, der mit einer Schuld
leben muss, auch wenn er nur Befehlsempfänger war.
Trotz
dieser zeitkritischen
Episode, die wie ein dunkler
Vorhang vorübergehend
zwischen
die
Seiten fällt, ist es
ein köstliches
Buch, geistreich, witzig und originell.
Christine
Michelfeit
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